Vegan Kochen Ukraine

Buchrezension “Vegan Kochen Ukraine”

Kulinarisch-literarisches Gemeinschaftsprojekt verbindet Kulturen

Wie sieht eigentlich die ukrainische Küche aus? Fremde Länderküchen sind ja immer inspirierend. Und obwohl seit Februar 2022 die Ukraine Thema Nummer eins in den Medien ist, weiß man hierzulande irgendwie doch recht wenig über sie. Das wird mir bewusst, als ich mich durch die ersten Seiten von “Vegan Kochen Ukraine” blättere – ein kulinarisch-literarisches Gemeinschaftswerk, das im Ventil-Verlag erschienen ist. Angestoßen von keinem anderen als dem veganen Ernährungswissenschaftler Niko Rittenau tischt das Buch Ernährungswissen, Warenkunde und traditionelle veganisierte Rezepte der Ukraine auf – und verbindet zugleich Kulturen.

“Generell war der Anspruch an die Rezepte… für sich stehende, originell umgesetzte pflanzliche Versionen mit der Seele der altbekannten ukrainischen Küchenklassiker zu kreieren, die den geschmacklichen Vergleich mit ihren tierischen Äquivalenten standhalten und so als gleichwertige Alternative auch eine kritische Prüfung bestehen.”

Verlagsgewinn geht zur Hälfte an “Food for Life Ukraine”

Woher die Rezept-Inspirationen für “Vegan Kochen Ukraine” stammen? Sie tragen die Handschrift der aus Odessa geflüchteten Sous-Chefin Kateryna Kuprych und des Spitzenkochs Lukas Jakobi. Buchstäblich in Szene gesetzt werden die Rezepte von den beiden aus Kiew stammenden Schwestern Olga und Evgeniya Drach, die sich als Foodstylistin und Fotografin mit Photokitchen einen Namen gemacht haben. Fünf Köpfe, drei Kulturen, die trotz der teils persönlich schwierigen Lage mit diesem Kochbuchprojekt etwas auf die Beine gestellt haben, das allen Respekt verdient. Nicht zuletzt auch, weil der Ventil-Verlag 50 Prozent des Verlagsgewinns mit diesem Buch an “Food for Life Ukraine” spendet und die Dr. Jacob’s Foundation die Spendenbeiträge noch einmal bis zu einem Betrag von 10.000 Euro verdoppelt. Mit dem Kauf des Kochbuches unterstützt man so zugleich die Nahrungsversorgung in den Krisengebieten in der Ukraine. Von diesem Buch profitieren letztendlich also alle.

Vegan Kochen Ukraine
Kartoffel-Zrazy: Leckere Kartoffeltaschen mit Linsen-Pilz-Füllung

Der Leser erhält neben inspirierenden Rezepten viele Einblicke in die Ukraine. Besonders beeindruckt mich mit “Einführung in die ukrainische Kulinarik” der Auftakt des Buches. Warum? Weil mir nicht annähernd bewusst war, welche Rolle die Ukraine als “Kornkammer Europas” einnimmt. Wir haben in den vergangenen Monaten Lieferengpässe von Mehl und Öl erlebt, ja. Zurückzuführen auf den Krieg in diesem osteuropäischen Land, das als Exporteur unglaublich wertvoll ist. Dennoch hatte ich keine Ahnung, in welchen Größenordnungen wir uns da bewegen. Beim Lesen des Buches werden einem die Augen geöffnet: Rund die Hälfte der ukrainischen Landesfläche macht Schwarzerde aus – der weltweit fruchtbarsten landwirtschaftlich genutzten Fläche. Erfährt man dann, dass rund ein Viertel aller Sonnenblumenkerne und rund ein Drittel sämtlichen Sonnenblumenöls von dort stammen, dass ukrainisches Getreide zwischen 10 und 15 Prozent am Weltmarktgetreide ausmacht, wird einem schlagartig das Ausmaß der weltweiten Abhängigkeit vom Frieden dieses Landes bewusst.

“Die geographische Lage sowie die historischen Gegebenheiten führten dazu, dass die ukrainische Küche Elemente unterschiedlicher Küchen in sich aufgenommen… und ebenso ihrerseits Einfluss auf diverse Küchen angrenzender Länder genommen hat.”

Gibt es überhaupt DIE ukrainische Küche?

Was isst man in der Ukraine? Hast du eine Idee? Bevor das Kochbuch bei mir eingetrudelt ist, hatte ich lediglich einen leisen Verdacht. Teigtaschen wie überall ist Osteuropa, vermutlich auch Buchweizen wie in Russland und Wurzelgemüse wie Rote Bete. Das war meine Vorstellung. Und damit lag ich nicht einmal falsch. Es ist jedoch nur ein Bruchteil dessen, was diese Länderküche ausmacht. Sie vereint russische, deutsche, polnische, türkische und ungarische Elemente – und ist ebenfalls eng mit der österreichischen Küche verwandt. “Sie ist würzig und auf die Vielfalt der heimischen Zutaten ausgelegt”, heißt es im Buch und was das genau heißt, wird spätestens im Rezeptteil deutlich.

Die osteuropäische Küche ist teils sehr deftig und fleischlastig. Auf der anderen Seite werden jedoch auch unglaublich viele pflanzliche Lebensmittel verwendet – weil das Land sie hergibt. Als “sehr gemüse- und getreidelastig” wird die ukrainische Küche beschrieben, wobei Rote Bete und Weißkohl das Hauptgemüse bilden – und zu meiner Freude auch Knoblauch eine unglaublich wichtige Rolle in diese Küchenkultur einnimmt. Der Leser erfährt, das Borschtsch nicht nur das ukrainische Nationalgericht ist, das von Region zu Region anders zubereitet wird. Er lernt auch, dass ebendiese Speise UNESCO-Kulturerbe ist. Ein passendes veganes Rezept wird später ebenfalls aufgeführt. Du siehst also, das Buch ist weit mehr als ein Kochbuch. Es schließt Wissenslücken und macht Appetit, tiefer in die Materie einzusteigen.

Tieferes Verständnis für Lebensmittel schaffen

Vegan Kochen Ukraine
Im Kapitel “Warenkunde” serviert Niko Rittenau unter anderem Einblicke in Öle, Getreide und Sprossen.

Tiefer einsteigen können die Leser zugleich auch mit der Warenkunde aus ernährungswissenschaftlicher Sicht, die Niko Rittenau für “Vegan Kochen Ukraine” aufbereitet hat. Er beschränkt sich dabei auf die Bereiche, die im Kochbuch eine Rolle spielen. Da sind zum einen Öle und Fette, zum anderen Getreide und Mehl.  Darüber hinaus greift er Umami-Gewürzzubereitungen auf, weil diese genutzt werden, um den deftigen Geschmack in die vegan zubereiteten ukrainischen Klassiker zu zaubern. Den Abschluss machen Sprossen und Microgreens – nicht etwa weil diese zur Landesküche gehören, sondern weil sie unglaublich nährstoffreich sind und jedes Gericht abrunden. Wusstest du, dass es inzwischen sogar sechs anerkannte Geschmacksrichtungen gibt? Neben süß, salzig, sauer, bitter zählen nun auch fettig und umami dazu. Wieder etwas dazugelernt!

“Essen bringt Menschen zusammen.”

Besonders eindrucksreich ist der Rezeptteil des Buches. Bereits die Aufteilung ist hier anders als man sie aus anderen Kochbüchern kennt. “Die Gerichte im Rezeptteil sind nicht klassisch nach Gängen, sondern nach Zutaten-Kategorien geordnet und verfolgen eine Art “Shared Plate”-Konzept”, so Spitzenkoch Lukas Jakobi. Ziel ist hierbei, Menschen am Tisch zusammenzuführen, indem mehrere Gerichte zeitgleich in der Mitte aufgetischt werden und sich jeder daran bedienen kann. Die Idee klingt toll und sollte bei der passenden Gelegenheit in die Tat umgesetzt werden. Aber keine Sorge: Die Gerichte funktionieren natürlich auch eigenständig allein. Sie sind alltagstauglich und sowohl für einen Single-Haushalt als auch für eine Großfamilie geeignet.

Einfache und doch so besondere Rezepte

Vegan Kochen Ukraine
Mehr als nur gebratener Tofu mit Tomatensoße: Tofu “Soljanka Art”

In insgesamt fünf Kategorien ist der Rezeptteil gegliedert. Neben “Basics: Pasten, Dips, Saucen und mehr”, spielen “Salate und Suppen” eine Rolle, gleichermaßen wie “Kartoffel- und Getreidegerichte”, “Gemüse- und Hülsenfruchtgerichte” und zum Abschluss “Gebäck und Süßes”. Was bereits beim ersten Durchblättern des Buches auffällt: Die Zutatenlisten sind nicht besonders lang. Kaum exotische Zutaten sind darin zu finden. Speisen wie Gurken-Wodka-Sorbet, Knollensellerie-Schaschlikspieße und Deruny mit Apfel-Chutney und Feldkaviar mögen zwar exotisch klingen, sind es von ihrer Zusammensetzung jedoch überhaupt nicht.

“Als ich mit der Rezeptentwicklung der Gerichte für dieses Buch anfing, habe ich mir das Ziel gesetzt… die Zutatenliste deutlich kürzer, die Zubereitung einfacher sowie die Zubereitungszeiten alltagstauglich zu halten und trotzdem hervorragende Gerichte zu kreieren.” (Lukas Jakobi)

Ziel erreicht! Die ersten Rezepte habe ich derweil nicht nur genauer unter die Lupe genommen, sondern auch schon nachgekocht. So fremd mir die ukrainische Küche bis dato war, so unglaublich lieb gewonnen habe ich sie bereits nach den ersten paar Bissen. Ganz einfach deshalb, weil aus den einfachsten, gängigsten Zutaten, die häufig zu den Basics im veganen Vorratsschrank gehören, die fantastischsten Geschmackserlebnisse gezaubert werden. Nehmen wir Tofu “Soljanka Art”, das sich in gerade mal 20 Minuten zubereiten lässt. Im Prinzip ist es nichts anderes als angebratener Tofu mit Tomatensoße. Und doch reicht diese Beschreibung nicht aus, um das Geschmackserlebnis in Worte zu fassen. Denn die Tomatensoße ist ein wahrer Gaumenschmeichler mit der edelsüßen Paprikanote und der feinen Säure aus Gewürzgurken und Kapern.

“Vegan Kochen Ukraine” macht Appetit auf mehr

Vegan Kochen Ukraine
Das Auge isst mit: Allein der Anblick macht Appetit auf mehr.

In Teigtaschen, die süß und herzhaft im Buch kredenzt werden, habe ich mich noch nicht versucht, dafür aber in Kartoffeltaschen, die mit einer feinen Linsen-Pilz-Füllung gespickt sind. Kartoffel-Zrazy lautet diese Leckerei, die mit einem Joghurtdip aufgetischt wird. Geglückt sind bislang alle Rezepte aus dem Buch – auch wenn sie auf dem Teller vielleicht nicht ganz so hübsch aussehen wie in den Abbildungen. Hier sind mit den Geschwistern Olga und Evgeniya Drach schließlich zwei Expertinnen zu Gange gewesen, die ihr Handwerk verstehen. Das Auge isst bekanntlich mit.

184 Seiten pures Lese- und Kochvergnügen. “Vegan Kochen Ukraine” macht Spaß. Und inzwischen fühlt sie sich gar nicht mehr so unvertraut an, die ukrainsche Küche. Sie erinnert mich ein bisschen an die Kochkünste unserer Großmütter, die aus regionalen, saisonalen Zutaten und mit kleinem Budget versucht haben, das Maximale an Geschmack herauszuholen. Und das zu einer Zeit, als Fleisch kaum erschwinglich und deshalb pflanzliche Kost normal war, ohne den Stempel vegetarisch oder vegan zu  tragen. Das kulinarisch-literarische Gemeinschaftswerk von Niko Rittenau und Co. gibt dem Leser die Möglichkeit, in die einfache osteuropäische Küche einzutauchen und die Ukraine über die Geschmacksknospen kennenzulernen. In Harmonie.

Vegan Kochen Ukraine
  • Niko Rittenau, Lukas Jakobi, Kateryna Kuprych,
    Vegan Kochen Ukraine
  • 1. Auflage 2022
  • Verlag: Ventil Verlag
  • Hardcover: 184 Seiten
  • ISBN: 978-3-95575-191-3
  • Preis: 22,- Euro (D)

Suchst du weitere Kochbuchinspirationen? Dann stöbere gerne weiter auf meinem Blog. Dort findest du eine kleine Auswahl an Rezensionen veganer Kochbücher.

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