„Under Pressure“ – Jahresrückblick 2021
Es gibt so viel zu tun – und doch hat man nur zwei Hände
Was ist dein Titelsong für das vergangene Jahr? Also wenn ich 2021 in einem Lied beschreiben müsste, wäre es wohl „Under Pressure“ von Queen und David Bowie. Die anfängliche Hoffnung, dass sich die guten Zeiten aus 2020 einfach um weitere zwölf Monate fortschreiben ließen, war eine Illusion: 2021 war unterm Strich kein so dolles Jahr. Dabei mag ich gar nicht bestreiten, dass es jede Menge Highlights gab. Schöne Ereignisse. Viele kleine Erfolge, die irgendwie in den Schatten der negativen Ereignisse des Jahres gerutscht sind. Hoffnung und Zweifel lagen oft nah beisammen.
In der Summe hat sich das Jahr nicht gut angefühlt. Ich stand ständig unter Strom, was nicht großartig neu ist, was ich irgendwie sogar brauche. Aber ich hatte zugleich das Gefühl, unter enormen Druck zu stehen – Druck von außen. Überall lauerten Erwartungen, denen ich unmöglich gerecht werden konnte. Denn auch meine Tage haben nur 24 Stunden und fremde Prioritäten sind nicht immer meine Prioritäten. Aber hangeln wir uns einfach mal durch das Jahr und werfen einen Blick zurück auf die Herausforderungen, Projekte und Baustellen im Jahresrückblick 2021.
Ernährungsberatung
2021 ging bombastisch los: Ich hatte Ende 2020 meine Prüfung zur „Veganen Ernährungsberaterin“ abgelegt und im Januar erfahren, dass ich mit einer Bestnote von 1,0 bestanden hatte. Stolz wie bolle freute ich mich auf alles, was in dem Zusammenhang kommen würde. Und es kam so einiges. Eine Webseite musste her, unzählige Anleitungen an den Entwickler verfasst, zig Texte für die Page geschrieben und zig Bilder dafür gemacht werden. Ein Name für meine Ernährungsberatung war gefragt, was mich ähnlich wie damals beim Blog vor einige Herausforderungen stellte. Will man „vegan“ im Namen mit drin haben, gibt es gar nicht so unzählige Möglichkeiten. Und die, die es gibt, sind heikel, weil häufig schon in Gebrauch, ähnlich klingend oder geschützt. Ergo: Ich ließ meine beiden Namensideen von einem Patentanwalt prüfen und schließlich auch von ihm ein Namenspatent anmelden. Veganesse war geboren.
Einige Zeit später stand dann auch das Logo und die Webseite – und der erste Kunde ließ ohne großartiges Zutun ebenfalls nicht lange auf sich warten. Und weil das neben einem Fulltime-Job nicht schon genug Programm wäre, habe ich mich im März gleich noch für die nächste Weiterbildung angemeldet. Ganz nach dem Motto: Wer rastet, der rostet. Ergo: Ich befasste mich von da an noch mit „Vegane Ernährung für Sportler“, eine Fachfortbildung, für die ich nun einen Tag vor Weihnachten die Abschlussprüfung abgelegt habe. Halleluja!
Gesundheit
Erinnerst du dich, wie ich dir im vergangenen Jahr positiv von meinem Frühwarnsystem „Ameisenkribbeln“ nach meiner Gürtelrose erzählt habe? Das Zeichen, wenn ich zu sehr unter Stress stehe, das mir zeigt, dass ich einen Gang runterschalten muss. Im Vergleich zur Gürtelrose ist das natürlich ein Klacks. Begleitet es aber in regelmäßigen Schüben deinen Alltag, ist es enorm anstrengend und beängstigend. Denn mit jedem Schub wächst die Angst: Die Gürtelrose kommt zurück. Das Phänomen, das mich seither begleitet, hat auch einen Namen: Post-Zoster-Neuralgie.
Monatelang habe ich bei Fachärzten auf Termine gewartet und bin seit Kurzem in Behandlung eines Schmerztherapeuten. Er hat mein Vertrauen und ich hoffe, dass wir es 2022 gemeinsam schaffen, diese Baustelle zu versiegeln – am besten zusammen mit der Schambeinentzündung, die ich als Übertrag ebenfalls mit in 2021 genommen habe. Physiotherapie und Übungen zu Hause haben dahingehend dazu beigetragen, dass ich zwar wieder meinem Hobby, dem Laufen, nachgehen kann. Bei Weitem aber nicht mehr so weit und so flott wie zuvor. An manchen Tagen bin ich schmerzfrei, an anderen weniger. Man lernt damit zu leben und schätzt die guten Tage. So gesehen war Corona im vergangenen Jahr mein geringstes Problem. Oder anders ausgedrückt: überhaupt kein Problem, auch wenn es natürlich durch Politik, Medien und Massenpanik omnipräsent war.
Achtsamkeit
Im Zuge dessen nahm Achtsamkeit einen bedeutenden Punkt auch im Jahr 2021 ein. Für manche mag es egoistisch klingen: Für mich hatte im letzten Jahr meine Gesundheit – physisch und psychisch höchste Priorität. Alles, was mir nicht gut tat, was mich runter zog, mir ein schlechtes Gefühl vermittelte, wurde sukzessive aus meinem Leben getilgt. Wer bin ich? Was will ich? Wo will ich hin? Diese Fragen habe ich mir immer wieder gestellt. Und so habe ich in diesem Jahr den größten Erfolg dahingehend verbucht, indem ich mich aus einer langjährigen toxischen Beziehung gelöst habe. Jemanden gehen zu lassen, den man liebt, der einem aber nicht gut tut, war ein schwerer Schritt, ein längst überfälliger. Aber es war der richtige.
In einer Zeit Achtsamkeit zu üben, in der man das Gefühl hat, dass die Gesellschaft enorm gespalten wird, in der man häufig einfach nur Weltschmerz und ein Gefühl der Ohnmacht entwickelt, ist kein Leichtes. Ich bin kein Freund von Diffamierung und Diskriminierung. Ich lehne beides ab und umso schmerzhafter war die Erfahrung, dass beides inzwischen in weiten Kreisen der Gesellschaft angekommen ist. Das sind die in meinen Augen schlimmen Spuren, die die Corona-Pandemie hinterlässt und die sich nicht so ohne Weiteres wieder beseitigen lassen. Um mit dieser Situation klar zu kommen, habe ich mich viel in Resilienz geübt, vielleicht auch in Ignoranz – je nachdem, wie man es definieren mag. Ruhe und Trost habe ich im Innern und beim Meditieren erfahren. Vielleicht war 2021 sogar das Jahr, in dem ich mir selbst näher als jemals zuvor war.
Sport
Wer hätte Ende 2020 gedacht, dass ich 2021 wieder auf die Laufstrecke gehen würde? Meine Physiotherapeutin mit den magischen Fingern hat es tatsächlich geschafft, dass ich meiner Leidenschaft, dem Laufen, wieder nachgehen kann. Wie oben schon erwähnt, ist nicht jeder Tag gleich. Im Sommer war ich eine ganze Weile beschwerdefrei. Seit der kühleren Jahreszeit macht sich die Schambeinentzündung wieder mehr bemerkbar. Ich habe ihr gesagt, dass ich im Einklang mit ihr leben werde, wenn sie mir das Laufen nicht zur Qual macht. Hoffentlich geht sie diesen Deal mit mir ein.
Darüber hinaus ging es die letzten zwölf Monate äußerst sportlich zu. Yoga, zu dem ich 2020 wie die Jungfrau zum Kind bekommen bin, ist immer noch Teil meines Alltags und schafft neben Bewegung auch Entschleunigung und Entspannung. Die Gymnastikmatte wurde und wird ebenfalls regelmäßig ausgerollt: Physiotherapieübungen wechseln sich mit Workouts ab, um halbwegs fit zu bleiben.
Food-Blog
Denn ja, das Essen und vor allem der Food-Blog schmecken auch nach fünf Jahren seines Bestehens noch. Fünf Jahre! Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht! Der Blog-Geburtstag ist ohne viel Tam-Tam vorüber gegangen. Es gab ja auch sonst 2021 genug Wirbel. Im Frühjahr landete ich unverhofft auf dem Cover des Magazins „Vegan für mich“, was mich unglaublich freute. Schließlich gehöre ich zu den Frauen, die nie über eine Karriere als Model nachgedacht haben – einfach, weil es im Leben Wichtigeres zu tun gibt. Die Welt retten, zum Beispiel. Aber wenn einem so ein Angebot in die Hände flattert, kann man es auch schlecht ausschlagen.
Ein weiteres Angebot, das mir quasi in den Schoß gefallen ist, war mein kurzer Fernsehauftritt als Ernährungsexpertin bei Punkt 12. Frag lieber nicht, wie es hinter den Kulissen dazu kam. Keine Vorbereitung, keine Absprache, kein Klappe, die Erste und die Zweite. Der Besuch des RTL-Teams war so spontan, dass nicht mal Zeit zum Haarewaschen blieb. Gedreht wurde mit Versprechern und Denkpausen in einem Zug – ohne eine Ahnung zu haben, welche Passagen der Cutter für den Beitrag rund um „Ökotest: Veganes Hack“ verwenden würde. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war, als der Beitrag ausgestrahlt wurde und ich gesehen habe, dass ich mich darin nicht total zum Trottel mache.
Blog findet auch in den Medien Anklang
Die Medienpräsenz meines Blogs war 2021 groß wie nie zuvor. Neben der Einladung zu einem Podcast-Dreh griffen Zeitungen ihn auf, fragten nach Rezepten und boten mir dadurch die Möglichkeit, den veganen Gedanken zu verbreiten, ohne zu missionieren. Dafür bin ich sehr dankbar. In dem Zusammenhang hier mal ein wunderschönes Feedback einer Blog-Leserin: „Mal ein Kompliment von einem Fleischesser: Du bist eine der wenigen (die einzige) öffentliche Veganerin, die ich kenne, die mir NICHT auf den Keks geht und nicht annähernd militant oder bekehren wollend wirkt, und immer gute Rezepte hat, die wirklich Lust auf Ausprobieren machen.“ Was ein wunderbares Kompliment, oder?
Der Blog wuchs auch im vergangenen Jahr organisch weiter. Und kaum traue ich es, mich zu sagen: Das Rezept mit den meisten Seitenaufrufen ist weiterhin „Einkochen: Tomatensoße auf Vorrat“. Dabei war doch 2020 schon das Jahr der Tomatensoße! All die tollen Leser, die wachsende Zahl der Zugriffe auf den Blog erfüllen mich mit einer unglaublichen Dankbarkeit. Natürlich investiere ich Zeit in diesen Blog. Doch dieser Invest zahlt sich nur aus, weil es Menschen wie dich gibt, die sich dafür interessieren. Das finde ich toll – und das spornt mich trotz der vielen anderen Aufgaben im Alltag immer wieder dazu an, dir wöchentlich ein neues Rezept zu servieren, und über die Schattenseiten, die mit dem Betreiben einer Webseite einhergehen, hinweg zu sehen. 2021 war nämlich auch das Jahr, in dem ich erstmals aufgrund des Blogs via Internetwache Strafanzeige erstattet habe. Details lasse ich an der Stelle aufgrund möglicher Trittbrettfahrer außen vor. Die Cyberwelt ist jedenfalls kranker als alles, was man sich in der realen Welt vorstellen kann.
Schlemmen for Future
Zurück zu einer schönen Sache: Was lange währt… liegt endlich in der Buchhandlung. „Schlemmen for Future“ ist erschienen, ein Gemeinschaftswerk der Initiative Parents for Future in Zusammenarbeit mit rund 20 veganen Köchen, Bloggern, Promis. Neben Niko Rittenau, Sebastian Copien, Sophia Hoffmann und Stina Spiegelberg ist auch meine Wenigkeit mit drei Rezepten in dem klimafreundlichen Kochbuch vertreten. Ich bin so dankbar, Teil dieses wunderbaren ehrenamtlichen Projekts zu sein, dessen Erlös zu 100 Prozent in Klima-, Umwelt- und Tierschutzprojekte fließt.
Im Sommer 2020 erhielt ich die Anfrage, ob ich nicht daran mitwirken möchte. Dass ich das Buch ein gutes Jahr später endlich gedruckt in den Händen halte, war und ist noch immer ein unglaubliches Gefühl. Und es hat mir noch weitere Glücksmomente beschert. Da war etwa die Anfrage eines Seniors, ob ich das Buch, das er seiner Enkelin zu Geburtstag schenken wollte, signieren würde. Oder der Anruf einer Buchhändlerin aus dem Nachbarort, die davon berichtete, dass ein Kunde das Buch mit meinen Rezepten haben wolle (es wurde in der regionalen Zeitung vorgestellt), sie aber nicht wisse, um welches Buch es sich handle. Diese Augenblicke sind so kostbar und wunderbar, das mir danach häufig noch zwei Tage ein Lächeln auf dem Gesicht klebt.
Umweltschutz, Tierschutz und Menschenrechte
Wo wir mit „Schlemmen for Future“ schon beim Umweltschutz sind: Die Premiere des Natur-Detox-Tages aus dem vergangenen Jahr habe ich in diesem Jahr fortgesetzt. Und ja, auch hier kam eins zum andern: Ursprünglich wollte ich wieder nur im kleinen Rahmen wilden Müll sammeln und die Natur von Ballast befreien. Als ich mich dann an die Stadtverwaltung wandte, um nachzuhaken, ob ich die vollen Müllsäcke im Anschluss über den Bauhof entsorgen könnte, war es einfach passiert. Die Sache wurde zu einer großen öffentlichen Aktion: Über 30 Mitstreiter aus meinem Wohnort schlossen sich an und sammelten gemeinsam mit mir von rücksichtlosen Mitbürgern wild in der Natur entsorgten Müll. Ich bin immer noch geflasht von dieser Unterstützung und werde in diesem Jahr dem Wunsch der Teilnehmer nachkommen, den Natur-Detox-Tag wieder in großem Format stattfinden zu lassen.
Regionales Engagement ist generell im vergangenen Jahr zu einem neuen Thema geworden. Schon im Januar bin ich Unterstützerin der Fairtrade-Stadt Hockenheim geworden, weil ich in zahlreichen meiner Rezepte – vor allem Backrezepte – fair gehandelte Zutaten verwende. Mea culpa: Ich habe es trotz damaliger Ankündigung in diesem Beitrag nicht geschafft, meine fairen Rezepte mit dem Fairtrade-Logo zu kennzeichnen. Der Wille war da, die Zeit zu knapp. Generell kann ich sagen: Rohrzucker, Kakao, Bananen, Kuvertüre, Schokoraspeln und Co. sind bei mir immer aus fairem Handel – weil Menschen ein Recht auf faire Entlohnung und Arbeitsbedingungen haben.
Save the Food
Zu guter Letzt habe ich 2021 noch etwas für mich entdeckt, was schon fast ein Hobby geworden ist: Foodsharing. Ich rette Lebensmittel, die ansonsten im Müll landen würden. Etwa, weil sie optisch nicht der Norm entsprechen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, weil sie eine Druckstelle haben, ein paar Blätter welk sind. Kurzum: Weil sie so aussehen, dass sie die Supermärkte nicht mehr verkaufen können. Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Mengen das sind, die einfach in der Tonne landen.
Es ist erschreckend, welche Verschwendung an Lebensmitteln und Ressourcen, die für deren Erzeugung, Lagerung und Transport benötigt werden, Tag für Tag praktiziert wird, während wir anderswo unzählige Menschen haben, die verhungern, oder selbst hierzulande Mitbürger haben, die an oder unter der Armutsgrenze leben. Dass so viele Lebensmittel einfach im Müll landen, ist traurig und deshalb ist es mir wichtig, meinen Beitrag gegen diese Verschwendung zu leisten, indem ich ausrangierte Lebensmittel rette. Einen eigenen Artikel zu diesem Thema wirst du demnächst auf meinem Blog finden.
Und sonst so
Wie du siehst, war 2021 ein turbulentes Jahr. Es gab viel zu tun. Vieles war ein Kampf. Es gab sehr vielen emotionalen Ballast, Druck von außen. Zweifel und Hoffnung, Freud und Leid lagen so eng beisammen. Doch das Leben geht weiter und nichts liegt mir ferner, als mich unterkriegen zu lassen. Ich glaube, mein Lebenssinn besteht darin, die Welt ein bisschen besser zu hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe. Und ja, 2021 hat mir häufig das Gefühl gegeben, in einem menschlichen und gesellschaftlichen Trümmerfeld zu stehen, in dem man nicht weiß, wo man anfangen soll. Es gibt so viel zu verbessern und doch hat man nur zwei Hände. Umso dankbarer bin ich um die vielen kleinen Augenblicke, die vielen kleinen Geschichten und hin und wieder ein positives Feedback, das mir das Gefühl gibt, trotz dem häufigen Gefühl der Ohnmacht auf dem richtigen Weg zu sein.
2022 wird dieser Weg fortgesetzt. Diesmal hoffentlich weniger „Under Pressure“ und mit etwas mehr positiven Nachrichten und schönen Überraschungen. Die Weichen dafür sind gestellt. Schon jetzt im Januar erwartet mich ein tolles Projekt im Rahmen des Veganuary, auf das ich mich sehr freue. Ein gutes Zeichen, dass 2022 in der Jahresendbilanz vielleicht mit einem Plus abschneidet – und ich dem kommenden Jahr einen positiveren Titel geben darf. Wie wäre es mit Frank Sinatras „I did it my Way“?