Kampf der Lebensmittelverschwendung durch Foodsharing
Einblicke in das Leben eines Foodsavers
Die Kisten sind prall gefüllt: zwei allein mit Bananen, vier weitere mit Brot- und anderen Backwaren, drei mit Salaten und eine handvoll weitere Kisten mit allem Möglichen: frischen Kräutern, Tomaten, Kiwis, Ingwer, Zitronen, Paprika, Pak Choi, Champignons. Lebensmittel reihen sich auf diesem Privatgrundstück an Lebensmittel. Sie sind nicht mehr gut genug, um im Supermarkt verkauft zu werden. Aber zu gut, um im Müll zu landen. Es herrscht ein Kommen mit leeren Körben… und Gehen mit gefüllten Einkaufstaschen. So sieht Foodsharing in der Praxis aus – so war meine erste Begegnung mit Foodsaving im Sommer 2021.
Mengen… es sind riesige Mengen
Das Bild ist nur eine Momentaufnahme von einer von zig Anlaufstellen in Deutschland. Allein in meinem Wohnort gibt es drei verschiedene mir bekannte Foodsharing-Standorte: Privatgrundstücke von Menschen, die ehrenamtlich von Supermärkten ausrangierte Lebensmittel abholen, um sie dann weiter zu verteilen und vor dem Müll zu retten. Menschen, die ihre Freizeit darin investieren, der Lebensmittelverschwendung den Kampf anzusagen. An jedem der Standorte findet mindestens eine Abholung in der Woche statt. Die Mengen variieren. Aber es ist dennoch jedes Mal eine MENGE! Und das nur an einem Ort in Deutschland!
Zahlen rund um Lebensmittelverschwendung:
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Während andere containern und buchstäblich in die Tonne tauchen, habe ich mich für den legalen Weg gegen Lebensmittelverschwendung entschieden – vermutlich weil ich ein Angsthase bin. Habe ich bis August 2021 einmal wöchentlich einen Einkauf im Supermarkt gemacht, so ziehe ich nun mindestens einmal die Woche zum Foodsharing los – manchmal auch zweimal. Das hängt vom Angebot und von der Ebbe oder Flut in meinem Kühlschrank ab. Den Supermarkt… den besuche ich seither weitaus seltener. Alle zwei, drei Wochen. Dann meistens, weil sich auf dem Einkaufszettel ein paar Dinge aufgestaut haben, die beim Foodsharing eher Mangelware sind: haltbare Lebensmittel.
Keine Angst vor falschem Scham
Für viele ist Foodsharing mit Scham behaftet: Sie glauben, es sei ein Zeichen von Armut, wenn man sich dort bedient. Viele glauben auch, man nehme damit den Menschen, die es wirklich nötig haben, etwas weg. Beides ist Fehlanzeige: Foodsharing ist in meinen Augen ein Zeichen von Reichtum, von Fehlkalkulation, von Elite, von Anspruch der westlichen Luxuswelt, während über 800 Millionen Menschen weltweit Hunger leiden. Bedürftige, ja, die gibt es auch hier. Und diese werden von den Verteilerstandorten informiert, lange ehe in die breite Öffentlichkeit gestreut wird, dass eine Abholung zum Bedienen bereit steht. Alles, woran du und ich uns bedienen können, können wir deshalb mit gutem Gewissen vor dem Müll retten.
Ist das nicht furchtbar eklig? Lebensmittel, die ausrangiert werden? Ich glaube, viele haben eine falsche Vorstellung von dem, was es beim Foodsharing zu ergattern gibt. In den vergangenen Monaten hatte ich schon etliche Lebensmittel dabei, deren Qualität sogar deutlich besser war, als wenn ich sie manchmal im Supermarkt kaufe. Ich denke da zum Beispiel an Feldsalat, aber auch an Lebensmittel, die bereits „nicht mehr für den Verkauf taugen“, sobald sie reif sind. Mango, Ananas oder Bananen zum Beispiel – Obst, das ich hier zu Hause nach dem Einkauf noch gut eine Woche reifen lasse, ehe ich es überhaupt genieße. Klar, manchmal ist auch Ausschuss dabei: Die äußeren Blätter von einem Salat müssen entfernt werden, das Radieschengrün ist eher gelb und deshalb vielleicht für ein Pesto nicht mehr so gut geeignet, von der Salatgurke muss am Ende ein bisschen etwas weggeschnitten werden, weil es schon weich ist, der Apfel hat mal eine Druckstelle, bei den Heidelbeeren sind zwei, drei Früchtchen im Päckchen, die schon zerknautscht sind. Alles in allem ist aber ein Großteil der geretteten Lebensmittel noch genießbar. Oftmals hat man vor Ort sogar die Wahl zwischen konventionell oder bio.
Foodsharing bei den Alles-Rettern
Neben diesen Abholstellen gibt es in Deutschland auch etliche Fairteiler. Das sind zum Beispiel Schränke an einem Standort, in dem jeder Lebensmittel, die noch gut sind, aber nicht mehr gebraucht werden, hinbringen und jeder, der Lebensmittel benötigt, welche mitnehmen kann. Hier funktioniert Foodsharing also auch zwischen Verbraucher und Verbraucher. Meine Erfahrungen beruhen bislang ausschließlich auf Foodsharing zwischen Handel und Verbraucher.
Eine zweite Stelle, die ich gerne, aber nicht so häufig ansteuere, weil sie außerhalb des Ortes und etwa 15 Autominuten entfernt ist, ist eine Station der Alles-Retter. Dieser Verein rettet neben Lebensmitteln auch noch andere Dinge vor dem Müll: Kleidung, Haushaltswaren, etc. Das Besondere: Hier sind die Abholstellen nur zu bestimmten Zeiten geöffnet, man wird dabei bedient. First come first serve ist hier also nicht. Jeder, der innerhalb der Öffnungszeiten kommt, bekommt auch reichlich Ausbeute. Meine Anlaufstelle hier ist ein ehemaliger Kiosk – und so verhält es sich auch. Die Abholer stehen draußen vor dem Kioskfenster auf der Straße und erhaschen einen Blick nach innen. Neben dem Warenangebot sehen sie dort auch die freundliche Seniorin, die jeden einzelnen Abholer verbal durch die einzelnen „Abteilungen“ führt – begonnen mit Brot- und Backwaren, weiter mit Gemüse, Salat, Obst und schließlich Artikel aus der Kühlung. Letztere sind der Hauptunterschied zu meinen anderen Abholstellen: Dort gibt es – außer im Winter, wenn es wirklich sehr kalt ist – so gut wie kaum Kühlprodukte, geschweige denn vegane.
Bei den Alles-Rettern ist das anders. Die Seniorin weiß inzwischen genau, dass ich mich vegan ernähre und freut sich, wenn ich alle vier Woche vorbeischaue, um den veganen Vorrat in deren Kühlschrank mitzunehmen. Unglaublich lieb, wie sie oftmals sogar meinetwegen Etiketten mit den Inhaltsstoffen studiert, weil sie mir nichts Tierisches unterjubeln will. Und ja, dort komme ich sehr häufig in den Genuss von veganen Joghurtalternativen, veganen Fleisch- und Wurstalternativen, Tofu, Hummus und Co. Es gab schon Hafercuisine, Gnocchi, veganen Käse, Yufkateig, veganen Pudding, Knoblauchbaguette, Couscoussalat und vieles mehr.
Überraschungen gehören zum Foodsharing dazu
Der Besuch bei den Alles-Rettern gleicht immer einer Wundertüte. Sehe ich bei den drei Abholstationen im Ort bereits bei der Benachrichtigung auf dem Handy anhand von Fotos , was es diesmal gibt und ob für mich etwas Brauchbares dabei ist, so weiß man bei den Alles-Rettern nie, was kommt. Manchmal sind es kiloschwere Säcke mit roten Linsen, die verteilt werden. Auch zu Graupen bin ich auf diesem Weg gekommen. Am Überraschendsten waren für mich jedoch Lebensmittel wie Federweißer, Mehl, Haferlocken und Müsli in Bio-Qualität, bei denen zwar das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war, bei denen aber jeder weiß, wie lange diese Sachen dennoch genießbar sind. Spannend war auch die Zeit nach Weihnachten, in der ich bei meinen örtlichen Abholstellen noch auf jede Menge Marzipan, vegane Lindt-Weihnachtsmänner und Lebkuchen gestoßen bin – haltbar bis mindestens Frühjahr, teils bis Sommer. Raus musste das Zeug im Supermarkt trotzdem, weil die Regalplätze für andere Lebensmittel benötigt werden. Heftig, in welcher Welt wir leben, oder?
Gründe für die Entsorgung genießbarer Lebensmittel:
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Noch gut erinnere ich mich an meinen ersten Eindruck vom Foodsharing. Es war eine Mischung aus Faszination und Entsetzen, die die Bilder von den Lebensmittelmassen in mir hinterließen. Sie führten mit direkt vor Augen, wie krank unsere Art zu leben ist. Wir erwarten, dass es im Supermarkt Samstagsabend kurz vor Ladenschluss noch die volle Bandbreite an Obst und Gemüse in der Theke gibt. Wenn eine Gurke oder Möhre in der Auslage krumm ist, machen wir einen Bogen um sie und lassen sie liegen. Wir wollen nur die größten und glänzenden Äpfel, die unreifen grünen Bananen ohne braune Reifungsflecken. Das Brot im Supermarkt muss backfrisch sein – einen Tag später taugt es höchstens noch als Tierfutter. Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten, glauben wir, uns an Lebensmitteln zu vergiften, ohne auf unsere Intuition, unseren Geruchs- und Geschmackssinn, zu vertrauen. Gehen wir ins Restaurant, erwarten wir einen vollgepackten Teller, von dem wir ein Drittel zurückgehen lassen, weil es einfach zu viel war. Es ist zum Schämen und zum Heulen.
Deshalb zähle ich Foodsharing inzwischen zu meinen Hobbys. Ich liebe es, Gutes zu tun. Ich mag es, Lebensmittel zu essen, bei denen ich weiß, dass sie sonst im Müll gelandet wären. Die Überraschung beim Abholen ist wunderbar – und auch die Kreativität, die einem manchmal danach abverlangt wird. Was mache ich nun mit dem Pak Choi? Was mit dem Grünkohl? Wie kann ich diese Woche Champignons verwerten? Wie bringe ich die Pastinaken im Speiseplan unter? Die zweite Woche in Folge Blumenkohl, und nun? In meinen Rezepten aus dem letzten halben Jahr findest du jede Menge Gerichte, die mit geretteten Lebensmitteln entstanden sind. Allesamt lecker, allesamt nicht geplant.
Geld sparen durch Foodsharing?
Und spart man damit nicht unglaublich viel Geld? Die Frage hat mir eine Freundin mal gestellt. Ja, man spart Geld. Unglaublich viel wäre übertrieben, aber man spart deutlich. Ich bin nicht aus finanziellen Gründen Foodsaver. Mir geht es um die Sache. Nach wie vor gehe ich gezielt einkaufen. Für so manches Rezept brauche ich auch mal exotische Zutaten. Einmal im Monat erhalte ich nach wie vor meine Bio-Gemüsekiste von einem regionalen Bauern. Nach wie vor schaue ich in Unverpackt-Läden vorbei. Auch diese beiden Möglichkeiten, um Lebensmittel zu beziehen, halte ich für unterstützenswert. Deshalb mag ich sie auch nicht vernachlässigen.
Die Gänge zum Supermarkt sind seltener geworden, ja. Häufig sind bei den Einkäufen auch Non-Food-Artikel dabei, weshalb ich die Ersparnisse lediglich schätzen kann. Im Schnitt, würde ich sagen, dass ich etwa ein Viertel bis ein Drittel an Lebensmittelkosten monatlich durch das Foodsharing spare. Man könnte mehr sparen, wenn man wollte. Man könnte mehr sparen, wenn man viel Lagermöglichkeiten, vor allem eine große Gefriertruhe, hat. Denn die Mengen an ausrangierten Lebensmitteln sind da. Unmengen! Prall gefüllte Kisten mit Brot- und Backwaren, weitere mit verschiedenen Salaten, Obst und Gemüse – oft in gutem Zustand, aber nicht mehr gut genug für den Verkauf im Supermarkt, in den Augen eines Foodsavers aber zu gut für den Müll…
Was kannst du gegen Lebensmittelverschwendung tun?
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